Werte Freunde des Bewegtbildes:
Anfang 2016 outete ich mich neben unserem A8-Lukas als Bewunderer der nouvelle vague (Eric Rohmer, Jean-Luc Godard etc.), wir sprachen über einige Regisseure, darunter auch Jean Becker, Jean-Claude Brisseau, Lars von Trier uvm., bereits damals spielte ich mit dem Gedanken, im Talk-Bereich einen Film-Thread herbeizuführen.
In einem ähnlichen Zusammenhang thematisierten wir auch den unvergesslichen Auftritt eines '90 Audi V8 3,6 in David Lynch's kryptischem und tiefenpsychologischen Meisterwerke "Inland Empire" (2006).
Lange Rede, kurzer Sinn:
Dieser Thread fungiert, so stelle ich es mir vor, fortan als Filmbereich des Forums, nicht ausschließlich, wenn ein Audi V8 irgendwo auftaucht, sondern gerne im Allgemeinen.
Selbstredend werde ich nicht jede meiner Rezensionen hier abzudrucken gedenken, ich fange aber (Achtung: Spoiler) einfach mal mit einem meiner Lieblingsfilme an: Atom Egoyan's "Das süße Jenseits", Rohfassung/Erstentwurf ;-).
Sobald ich mir Lynch's nur sehr schwer zu analysierendes Wunderwerk eines Tages vornehme, V8 inklusive, kommt es in den Thread.
Lieber Lukas, Feuer frei, wenn du der Gemeinde hier ein paar Filme zu empfehlen hast, alle anderen Verehrer dieses 1895 ins Leben gerufenen Mediums, sind selbstredend / natürlich ebenfalls als Mitdiskutanten willkommen .





„We are all citizens of a different town now, … strange and new“, kalt wie ein Wintermond, die Angst sie uns innewohnt

Vor 20 Jahren, so die sich bewahrheitet habende Legende, sollte es geschehen: es entstand „Das süße Jenseits“, hierbei handelt es sich nun um meine persönliche jubiläumsbedingte Ehrerbietung, den Beitrag zu einem formvollendeten, zwischen 12/95 und dem 29.11.97 spielenden Meisterwerk, dessen Qualität nicht in Worte zu fassen ist, ein makelloserer Film ist mir noch nie zuvor begegnet.
Ich verwende als Schreibplattform die Veröffentlichung des Buches, da alle einzelnen Filmbereiche ebendiesen Werkes bereits von und mit Beiträgen meinerseits belegt sind, ich bitte um Verständnis...

Beginnend in magisch-mysteriöser Dunkelheit, ähnlich geheimnisvoll wie im Jahre 1994 in Exotica, hier nun jedoch leichte Winde im Hintergrunde zu vernehmen, die Flöte sie singt ihr fabelhaftes, in den hübsch gestalteten Rahmen einer Märchenerzählung passendes Volkslied innerer Idylle. In trauter Dreisamkeit nun die junge Familie des Mitchell Stephens zu erblicken, die Ehegattin und das im Gesichtsausdrucke ein wenig an Altmeister Roman Polanski erinnernde Töchterlein, dessen konzentrierter Blick in nicht allzu ferner, bereits spürbarer Bälde noch eine tragende Rolle wird spielen dürfen. Die Tochter nun, wir schreiben wieder ein gegenwärtiges Jahr, bei den dem Rauschgifte nicht abgeneigt seienden Leuten stehend, in aktueller zivilisatorisch besetzter Welt, oh welch Kontrastbilde zum betagten Vater im Wagen, zwar ebenfalls von engem Raume umgeben, sich jedoch in bedeutend einsameren Regionen aufhaltend, die disfunktionalen Kommunikationskomplikationen in der von komplexen Zusammenhängen und erschreckenden Rissen geprägten Beziehung zwischen ungesunder Tochter und besorgtem anwaltlichen Vater, erschüttern uns zutiefst. Sarah Polley in dieser ihrer innigsten Rolle der Nicole nun eine Ballade erklingen lassend, der Vater, wie er zu Beginn eher als eine Art „Weggefährte“/“Freund“ portraitiert wird, wohnt dieser eines öffentlichen Anlasses wegen erfolgenden Probe für eine Aufführung, ein Konzert, scheinbar verständnisvoll, im Kerne jedoch von keinerlei Sympathiefaktoren geprägt, bei, bewundert in ihr die vielleicht falschen Aspekte, anstatt sie wirklich ihrer Darbietungen wegen zu lieben, begrüßt er lediglich die Unschuld in ihr. Im Hintergrunde wir die Bilder ihres Antlitz' sehend, sie in pittoresk-malerischem Lichte engelsgleicher Wunder erstrahlen lassend, zudem untermalt von einem sich in dieser Form wiederholenden, geradezu hypnotischen Score von Mychael Danna. So oft nun unterstützt der Klang den alsbald zu erfolgen drohenden Zeitwechsel, wie er uns jederzeit packen, betören kann, im Positiven wie im Negativen zu überwältigen vermag.
Das Minutenbild der Momentaufnahmen beizeiten so kristallklar im seelischen Zerfalle und Ertragenmüssen von Qualen, dabei niemals geradlinig, sondern stets eine bemerkenswerte Mixtur dessen, was einstmals geschah, sich gegenwärtig zuträgt und künftighin Gestalt annehmen wird.
Das Riesenrad des Rummelplatzes, das gemeinsame Zu-sich-Nehmen einer Erfrischung aus leck'rem Eis, die aus den aus dem Bus steigenden Kindern bestehende, auf Neudeutsch, Community, jawohl, noch scheint alles scheinbar unbeschwerter Schwerelosigkeit innerer Wunder zu unterliegen, zusammen begrüßen Nicole und Sam die noch existierende, in Bälde in Welten gespaltene Gruppe. Das Hotel der Walkers ist es, welches von Stephens zuerst aufgesucht wird, ehe die Besuche eine kaum mehr zu überblickende Zahl ihr Eigen nennen werden. Der Anwalt dringt mit überzeugenden Vorträgen in die Psyche der schwer traumatisierten Eltern ein, stets einen Notizblock bei sich habend, um pflichtgetreu alles festzuhalten. Fast einem Prediger gleichend, widmet er sich geradezu fanatisch seiner ihm von ihm selbst zugedachten Aufgabe, um letzten Endes doch nur von dem gewaltigen Umfange der Unannehmlichkeiten seines eigenen Schicksals zu fliehen. Mr. Walker versucht über jeden seiner Mitmenschen ein negatives Urteil ins Leben zu rufen, einzig' bei den künstlerisch veranlagten Otto's, dem sympathischen Paar wunderschönen Hauses, wie wir es später werden erblicken dürfen, scheint ihm die Herbeiführung von Kritik nicht so recht zu gelingen. Lediglich ihr „They are smart, ...went to college“ scheint ihn zu stören, als seien nur Akademiker des Wissens Träger, so ist dem nämlich mitnichten. Stephens' Telefonat mit der den Drogen nicht Adieu sagenden Tochter, wird, es kommt noch zu mehreren weiteren Gesprächen, während der Walker-Besprechung seine Entstehung finden lassen, zur selben Zeit diskutiert das Paar und wir erleben, zwei Zweier-Debatten folgend, unheimlich viel Gesprächsdynamik auf einmal, geschickt eingefangen von Egoyan, ...auch noch tatsächlich beiden Unterhaltungen folgen zu können. Alison erweist sich, hier schreiben wir nun wieder das eigentliche Filmjahr, nämlich 1997, als eine begnadete Zuhörerin, geradezu der Rolle einer Art Therapeutin gerecht werdend, alles strömt nun regelrecht aus seiner Seele heraus, tritt sich angestaut habend nachträglich hervor, nur und ausschließlich hier, erleben wir ihn ganz und gar als jenen Menschen, dessen Wesen auch jenseits des anwaltlichen Daseins lebt, atmet, spürt und fühlt, gar empfindet. Die anwaltliche Rolle und Aufgabe nun also szenenweise abgelegt und beiseite geschafft, jene Berufung, welcher er sich seiner geschickten Rhetorik wegen einstmals verschrieben hat. Nun besuchen wir die Ottos, jene im positiven Sinne die Andersartigkeit zelebrierenden Vertreter fremder Kulturen, zwei Künstlerseelen im Einklange, passenderweise nun in einer Welt Platz genommen habend, in welcher die Zeit stillzustehen scheint, Schneestürme in unserem Herzen ein Wintermärchen erschaffend. Stephens innerlich so mitfühlend, beruflich dagegen gezwungenermaßen kühl, im Übrigen ließe sein Herz wohl noch keine Selbstöffnung innerer Offenbarungen zu. Gabrielle Rose (Dolores) zuvor in weniger „biederen“ Rollen innerhalb der Egoyan-Filme zu sehen gewesen, meistert sie nun auch diese neue Aufgabe mit Bravour, u.a. aber auch David Hamblen, wie er ebenfalls zum Egoyan-erprobten Stammpersonal gehört, hier nun seine anspruchsvollste Rolle bekleidet, wie sie auch im Buche so bewegend von Dolores beschrieben worden ist. Überhaupt hat der Autor besagten Buches die Chance ergriffen und die Gelegenheit wahrgenommen, im Filme einen kleinen Gastauftritt („her mind is kind“) zu genießen. In Dolores'/Gabrielle's Haus, erleben wir nun Bilder von Kindern, auch in diesem Zusammenhang erweist sich das Werk als ein ähnlich tragisches Trauerspiel wie „Exotica“, die Formel perfektionierend, prägend den Kunstfilm der 90er Jahre. Aus einem Helicopter erblicken wir nun den unvergleichlichen Zauber der Rocky Mountains, Straßen so schneebedeckt in ihrer von Naturphänomenen überzogenen Pracht zu sehen. Stephens, nun befinden wir uns wieder im von Trauer durchtränkten Gespräch im Flugzeuge, kann die Kliniken seiner Tochter kaum mehr zählen, der dunkle Himmel er entfaltet sich über unseren Herzen, die Kamera gleitet durch ihn hindurch...
Die Nebelwelten sich aufbauend, die Kamera fährt durch deren Dunst des Mysteriums, jedes einzelne Haus scheint meilenweit vom nächsten „Nachbarn“ entfernt zu sein. Die Otto's alsbald ebenfalls leicht manipulierbar erscheinend trotz künstlerisch anmutender Individualitätsoffenbarung
, lediglich Nicole und Billy (Bruce Greenwood, fast so brillant wie in Exotica) lassen sich nicht in die ihnen widerstrebenden Prozesse und Richtungen lenken. Das hölzern prachtvolle Haus der Ottos gar mit Instrumenten und wundersamen Gegenständen, wie sie dezent im Hintergrunde liegen, äußerst hübsch ausgestattet. „You are angry“, sagt Stephens mehreren seiner Zuhörer, doch schenket er sich in diesem Moment kaum selbst Gehör, denn der Zorn muss auch in seiner Wenigkeit leben...
„Angry“ ist hier kein Ausdruck, Trauer träfe vielmehr das eigentliche Phänomen der gebrochenen Zauber und Lebensentwürfe. „There is no such thing as the simple truth … there is no such thing as an accident“ - Überzeugungskunst so klar im Worte, die Gemeinde zwar spaltend, doch zu den Ottos kriecht er geradezu vor, fleht selbige regelrecht an, sie mögen und möchten ihm doch bitte das ihm entgegenzubringende Vertrauen schenken. Er konfrontiert sein Gegenüber zumeist mit traumatischen, durch Worte erzeugten Bildern, oft sieht er die Leute dabei nicht direkt an, spräche gar weiter, wenn keiner mehr als Zuhörer fungiert, verliert sich gänzlich in der Ich-Perspektive eines gebrochenen Mannes, dessen Nachwuchs im Extremfalle vor ihm wird sterben müssen, man bedenke schließlich, dass die in Bälde bei ihr diagnostiziert worden seiende Krankheit Mitte der 90er Jahre als Todesgarant wahrgenommen worden ist. Bizarre Komik offenbart sich dann, wenn er in kindlicher Freud' und Aufregung zu seinem Wagen rennt und den für den Fall vonnöten seienden Vertrag holt, Ian Holm rast mit fast 70 Jahren durch die Eiswüste, beeindruckt uns auch sonst mit überragender Schauspielkunst brillanter Darstellung, doch für mich persönlich ist eher die erst später häufiger zu sehen seiende Nicole die wichtigste und zentralere Figur des Films, der eine so tragende Rolle spielende Engel von einer Hauptprotagonistin, an sie denke ich im Grunde genommen den gesamten Film über. Die Affäre zwischen Mrs. Walker und Billy beginnt erst einmal in recht leichter, da sichtlich unbeschwerter Zweisamkeit eines das Schicksal teilenden Kurzzeitpaares, später hingegen wird auch diese Bindung kompliziertere, neue Konturen annehmen.
Nicole öffnet im wahrsten Sinne des Wortes das „fabelhafte“ Buch, passt auf Billy's Kinder auf, gibt Acht und erkennt, wie der Sohn eine interessante Frage stellt, all dieses in einem bildschönen Winterzimmer mit Schrägen, wir blicken auf direktem Wege in die Bergwelt schneeweißen Zaubers. Nicole/Polley probiert praktisch für tot geglaubte Kleidungsstücke der dahingeschlichenen Herzdame seitens Billy an, weder sie noch er sind sich gänzlich bewusst, was das alles bedeuten mag. Der Vater von Nicole nun ins Reich der Sünde eindringend, sie dorthin geleitend, wo sie in ihrer Rolle als Tochter nicht stehen sollte. Schauspielerisch brillanter Austausch der Blicke, Kontakt nur physisch spürbar, nicht jedoch in den Innenwelten unserer Herzen. Im Heue die Kerzen der die Psyche vernichtenden Schauerromantik in ihrer seelenlosesten, unreinsten, unfreiwilligsten aller Formen. Unmissverständliche Andeutungen und doch im Buche sowie im Filme kaum als solche wahrgenommen werdend, wohl auch weil direkt in dem Anschlusse wieder die Landschaftspracht zu bewundern ist, wir wollen es nicht wahrhaben und schweigen es in der Stille zu Tode, das Geschehen als der direkte Kontrast zu den atemberaubenden Orten. Bildgewaltige Fernaufnahmen im Weitwinkel, jede Kameraeinstellung ein Werk Gottes und all dies mit vergleichsweise geringem Budget. Wenn ich mich recht entsinne, schrieb ich einstmals sinngemäß, der Film sei in bestimmten Hinsichten weniger zeitversetzt, eher geradliniger als Exotica, das Gegenteil ist im Grunde genommen der Fall, doch die beiden Meisterwerke nehmen sich nicht sonderlich viel, sondern ergänzen sich vielmehr, der Zeitwechsel ist ALLGEGENWÄRTIG! Abermals die ausdrucksstarke Zoe als Kind in die Kamera blickend, verwundert und fasziniert zugleich, worin läge auch der Unterschied? Der Gesichtsausdruck so nachdenklich, was genau ist uns das Kind mitzuteilen gewillt? Greenwood's Figur mag etwas hart und grob erscheinen, aber ehrlich stünde sie stets zu ihren Gefühlen und Ansichten, ...Affäre mit Mrs. Walker unter den ihrerseits vorhandenen Ängsten leidend, Nicole's weitergetragenes Erbe von Billy's verstorbener Gemahlin, habe in ihren Augen gewissermaßen Einfluss auf den Unfall gehabt, verzweifelt suchen alle Beteiligten nach einer Erklärung für diese Tragödie. Die (Stief?-)Mutter begrüßt die überlebt habende Nicole fast unverschämt-zynisch mit den merkwürdig betonten Worten: „You are so lucky!“, genau genommen mag man sich eher fragen, ob ihr Überlebthaben überhaupt ein Segen ist, allenfalls hilft es ihr dabei, von Sam nicht mehr allzu sehr begehrt zu werden und falls doch, so zwingt sich dieser nur zur Zurückhaltung, da er nun auf sie angewiesen ist, ihr Zeugenwort als finales Hilfsurteil. „Courage“ wird sie nicht nur benötigen, sondern auch gesanglich wiedergeben, die Gesangsthematik passt perfekt zur Grundbotschaft des hiermit rezensierten Films. Ihr neues Prinzessinnen-Zimmer macht, so hofft es wohl aus Sam, aus ihr wieder eine Art Kind, doch allzu leicht lässt sich eine Nicole nicht beeinflussen, denn die Erinnerung sie lebt. Sam kann sich seiner nicht mehr allzu sicher sein, denn anwaltlich betrachtet, benötigt er auf juristischer Ebene des Töchterleins Hilfsbereitschaft zur Aussage, bemerkenswert auch wie Stephens Sam ruhigstellt, erst hier beginnt Nicole, den Anwalt überhaupt ansatzweise zu akzeptieren, es muss ihr imponiert haben, zu sehen wie Vater der Mund verboten wird. Nicole erweist sich in zahllosen Zusammenhängen als der Weisheit ihr Träger, schauspielerisch fast so brillant portraitiert, wie Vanessa Paradis in „Elisa“, mindestens gleichwertig mit Jordana Brewster in „Invisible Circus“ und M. Barton in „Lost and Delirious“. Sam und die Dame an seiner Seite, tauschen im Zuge des Gespräches mit dem Anwalt, der nur sehr unklar andeutet, wann das Geld denn käme..., etwas hinterhältig die Blicke aus, ginge es um Nicole oder doch eher um eine des Geldes wegen entstehende Klage? Alsbald eine so temperamentvolle nächtliche Begegnung zwischen Stephens und Billy, selbige muss man höchstpersönlich erlebt haben, auch äußerst kraftvoll synchronisiert von Oliver Stritzel. Wie Sie sicher bemerken, sehe ich mich genötigt recht häufig zwischen den Zeiten und Charakteren hin- und her zu wechseln, das resultiert wohl aus meinem Bestreben, mich dem Filme ein Stück weit anzupassen, um dessen stimmungsvolle Atmosphäre zu betonen und zu unterstreichen, diese lebt nämlich in vielerlei Hinsicht von genau diesen Zeitverschiebungen im Inneren der Geschichte. Dem Zorne eines Billy kann Stephens keine Stimme im Gerichtssaale geben, in ihm keinen zusätzlichen (Zwangs-)Zeugen gewinnen, auch nicht mithilfe seiner eigenen Tochter, deren erneuten und nicht letzten Anruf er doch tatsächlich dazu missbraucht, seinem Plädoyer mehr theatralische Kraft zu verleihen, um doch noch, es gelänge aber nicht, zu Billy durchzudringen. Das fast schon von Natur aus überfüllte Fass, droht endgültig überzulaufen, als die Tochter trauerbedingt und vermutlich der Wahrheit entsprechend hinzufügt, sie sei beim Arzte gewesen und man habe die Todesbotschaft bezüglich Aids, HIV-positiv, verkündet. Ob er ihr Glauben schenkt? Wenn nicht, so handelt es sich hierbei um einen weiteren massiven Schlag, welchem die Tochter hilflos ausgeliefert ist, ferner auch darunter leidend, dass er oftmals glaubt, ihr gewissermaßen voraus zu sein. „Welcome to hard times, daddy“, heißt es nun jedenfalls – und abermals wiederholt sich das Bild der Baby-Zoe, auch hier erweist sich der Film in seinem stets zum richtigen Zeitpunkt eingreifenden Feingefühl fast als zu perfekt und makellos, geradezu erschreckend, wie sich Egoyan bei diesem seinem gefühlsintensivsten Film keinerlei Fehler gestattet, nicht einen einzigen scheint er sich zu erlauben.
Vor Dolores wird Stephens nun direkter, läuft auf sie zu und sie wird infolgedessen von ihrem ebenfalls einer Minderheit angehörenden, von Stephens zuvor offenbar nicht im ausreichenden Maße ernstgenommenen Manne beschützt, nur sie ist in der Lage, ihm ganz und gar folgen zu können, das Netz von Vertrauen und Verständnis wurde Jahrzehnte über gewoben. Die Räumlichkeit der Zeugenaussagen so groß, so lang, so leer. Ein Saal einstmals unbeschwert gewesener Tage, Mitchell von Dolores' Aussage sichtlich unberührt, oder lässt er lediglich keine Emotionen zu? Unklar nun, wann Nicole die für sie und die Gemeinde so wichtige und bedeutsame Entscheidung drastischer Art trifft, ob während des Zuhörens, wie es Spannungen zwischen Billy und Sam zu beobachten gäbe, oder doch erst, als sie dem Vater kurz darauf, in der Nacht vor dem Tage der Tage, eine Entschuldigungschance einräumt? Sam sagt in dreistem Mangel an Wissen, er wüsste genau, wie Billy sich fühle, „Wie?!“, entgegnet dieser dem klar im Worte, „ziemlich deprimierend und so“, antwortet Sam recht halbherzig und ohne jeglichen psychologischen Verstand. „Du hattest nichts mit dem Unfall zu tun“, sagt die Stiefmutter dem seine beiden Kinder verloren habenden und hinter dem Bus her gefahrenen Manne doch tatsächlich, sie ist mir im gesamten Film vermutlich mit am unangenehmsten. Billy ist noch so gütig und hilfsbereit, nach alledem seinen finanziellen Anteil anzubieten, erinnert an die Gemeinschaft die füreinander da war, doch Sam erweist sich abermals als undankbar. Nicole's Spiel in diesen und weiteren späteren Szenen ist von unsagbarer Intensität, die ihresgleichen sucht. Zumeist dann noch aussagekräftiger, wenn sie nur des traurigen Blickes stille Worte verliert, ohne aber konkret ein solches in den Mund zu nehmen. Der finale Spruch von Sam Billy gegenüber, ist endgültig zu viel des Schlechten, ich wäre an Billy's Stelle unter Umständen wohl noch einmal zu Sam zurückgekehrt..., tut mir leid...
„The stage … nothing but candles“ - Sam versteht jede auch noch so kryptisch anmutend formulierte Anspielung seiner Tochter, jedes Wort so unmissverständlich klar, doch er nimmt die Chance nicht aktiv wahr. „Warum ich log, wusst' er allein“, hiermit könnte sowohl ihr Vater, als auch Gott gemeint sein. Die Tränen deuten sich nur an, langsam fließen sie hinunter, vergossen gar, jedoch ohne inneres Eis der angeschlagenen Seele schmelzen zu lassen, einen ähnlich winterlichen Tiefgang erlebte ich bislang nur in „D2“ von Kenji Eno, der geheimnisvolle Score erschafft ein übriges und bedroht etwas in uns. Sarah Polley schenkt uns hier nun die vollständige, vollendete Kunst ihres göttlichen Schauspiels, das Werk nahezu am Ende angelangt und die Heilung doch erst an ihrem hoffnungslosen Anfangspunkte. „...frozen as a winter moon“, die Worte bleiben haften.
Dolores gegenüber mag das Ende recht grenzwertig erscheinen, doch ungerecht hin oder her, war es in dieser schwierigen, Konsequenzen habenden Lage nur noch eine Frage des Abwägens zwischen dem Für und dem von Dolores einmal abgesehen kaum vorhandenen Wider – dennoch kontrovers....

...und Vater musste sich nun die Frage stellen, WESHALB die junge Lotusblüte log, die Antwort sie dürfte ihm geläufig sein, ihre baldige Frage bezüglich des Rechners von Stephens, stellt dabei eine der seltenen Pointen dar. Die Fallakten nunmehr geschlossen, auch der Flug im Herbste des J. 1997, scheint sein nur scheinbar gesundes Ende genommen zu haben, denn alles ist passé, doch die Narbe bleibt erhalten. Die nachträgliche Begegnung mit Dolores stellt einen letzten Kontakt zwischen zwei Welten her, die Szene wechselt in Bälde wieder zu Sarah, wie sie das Märchenbuch nun endgültig schließt, um dem Schicksal des metaphorischen Weiterlesens entronnen zu sein, fortan von Erinnerung zu leben, denn die Erzählung nimmt an ebendiesem Punkt ihr wohlverdientes Ende.


Der Audi V8 - das Faszinosum für Lebenskünstler und Individualisten