Ay liebe Weihnachts-Gemeinde,
so muss Kischon sich gefühlt haben. Ich versteh jetzt seine ausufernden Geschichten.
Gestern Abend war die Weihnachtsfeier in der Grundschule meiner 6-jährigen Tochter. Und da muss man ja als Elternteil präsent sein, für wen denn wird wochenlang geprobt, um dann ein halbstündiges fulminantes broadway-mäßiges Spektakel abzubrennen, was die Herzen erweicht und die Augen erfeuchtet?
Genau.
Also sind wir vorweihnachtlich angehaucht mit dem V8 bei 12 Grad und verregnetem Sonnenuntergang durch die laue Frühlingsluft zur Schule gebrabbelt, und nach 15 minütiger Parkplatzsuche dürfen wir zwei dann den gleichen Weg sozusagen vom Auto zu Fuß nochmal gehen. Die Waffelteig-Spende schwappt fröhlich in meinem Arm und kleckert auch nur mäßig auf meine Hose. Immerhin lerne ich Gegenden in diesem Wohngebiet kennen, die nie zuvor ein Mensch betreten hat.
Die Organisation ist wie immer so perfekt, dass es in dem Moment zu regnen aufhört, als die Veranstalter endgültig beschließen, das Spektakel nicht draußen, sondern im Musikraum stattfinden zu lassen.
Nun schieben sich 300 kleine Schülerinnen und Schüler, deren Eltern und die Tanten und Verwandten in diesen 30qm großen Saal, vorbei an den vorglühenden Waffeleisen, brodelnden Punsch-Gefäßen und Kuchentischen, stehen dicht gedrängt vor einer kleinen Bühne und harren den Dingen, die da kommen.
Während der Rektor beherzt zum Akkordeon greift und mit den Erstklässlern eine schmissige Neuinterpretation von Schneeflöckchen, Weißröckchen intoniert gesteht mir mein Stehplatznachbar nach einem fragenden Blick auf seine dampfende Tasse von mir, dass er da nur Hochprozentigen drin hätte, weil er so erkältet sei. Ah. Rechts von mir der klassische übereifrige Pädagogenvater, he können Sie da vorne nicht mal etwas abtauchen, he seien Sie doch mal etwas leiser ich kann mein Kind ja gar nicht hören, toll hier nicht wahr, wir sind ja schon seit drei Jahren dabei, meine Frau hat Mohrrübenkuchen gebacken, sagen Sie ist das etwa ein Handy? Machen Sie das doch mal aus.
Mist, er ertappt mich bei einem verzweifelten Hilferuf nach draußen.
Nach dem Liedchen der verlesene Ablauf des Abends, klingt nach langer Nacht, ich kann jetzt schon nicht mehr stehen.
Die Gedichte beginnen. Vier kleine Kinderchen stehen auf der Bühne, hochrote Köpfe, und das erste Mädchen vergisst nicht nur den halben Text, nein es weiß nicht mal mehr wie es losgeht. Und schweigt in ein riesiges Mikrofon. Die Kunstlehrerin rettet Weihnachten, weil sonst anscheinend auch niemand weiß, was da eigentlich vorgetragen werden sollte, und will das Mikrofon strahlend lächelnd an den Zweitstrophler weitergeben, als jemand aus dem Publikum die entscheidenen Zeilen zündet und der Kleinen alles wieder einfällt. Sie rappelt was von James Krüss runter, und das Publikum atmet sichtlich erleichtert auf.
Der Papa neben mir ist sogar so erleichtert, dass er beherzt ein halbes Kilo Grippeviren in die Menge niest. Und dann schnell an seinem Punsch nippt. Mir grünlichen vaporisierten Schleim von der Wange wischend entdecke ich in dem Wooling endlich irgendwo vorne meine Tochter und freu mich.
Weiter rechts setzen sich die ersten ermüdeten Großeltern auf die viel zu warmen Heizkörper, es riecht nach versengelter Gummihose und dampfendem Urin und die Standing Ovations nach jeder Strophe des 800 Zeilen umfassenden Weihnachts-Epos werden unelanvoller. Es stehen ja ohnehin alle.
Während des nächsten Weihnachtsliedes, welches außer dem Rektor und dem brausebärtigen Elternvertreter mit ihren Quetschen niemand zu kennen scheint gehen die ersten verstohlen auf den Flur, um sich schon mal mit Waffeln und Würstchen zu versorgen, und um alle Anwesenden beim zurück drängeln dann stilgerecht rücklings mit Senf und Puderzucker einzuschmieren. Neidvoll gucke ich auf die Uhr, mir schmerzhaft bewusst, dass vermutlich auch 80% der anwesenden Kinder lieber zu Hause sitzen würden. Jetzt schön schoppen im neuen Famila. Das wär was.
Die Deutschlehrerin mit halbseitiger Gesichtsstarre und Pädagoginnenfrisur leutet die nächste Gedichtrunde ein, draußen jenseits der Fenster des Musikraums stehen lächelnd die schlaueren Eltern mit Punsch bewaffnet und sehen sich das alles aus der Entfernung an. EIn niedlicher Junge aus der Integrationsklasse brabbelt irgendwas neben das Mikrofon, was aus irgend einem Grund drei Leute in der zwölften Reihe in Tränen ausbrechen lässt, was wiederum nicht weiter Gewicht hat angesichts der Tatsache, dass im Flur eines der Waffeleisen schwarzen Rauch produziert und vom Sportlehrer beherzt mit seinem Punsch abgelöscht wird. Was bin ich froh dass das nicht mein erkälteter Nachbar mit seinem Getränk gemacht hat, dann wären wir hier alle in die Luft geflogen!
Irgendwann ist die Veranstaltung dann offiziell vorbei und alles strömt wieder in die stickige Eingangshalle zurück. Im Nebenraum steht eine ehemalige Schülerin mit Kopftuch und einem Waffeleisen und lächelt die drei Kilometer lange Schlange an, die sich gebildet hat. Fröhliche Kleinst-Menschen bekleckern sich mit Ketchup und Orangensaft, müssen mal dringend Pipi oder (natürlich die Jungs) hauen sich draußen dicke Äste auf die Rübe und suchen dann plärrend und verrotzt ihre Mama. Ich drifte mit meinem glücklichen aber müden Kind durch die Räume, hier wird was vorgelesen, da werden die letzten Kuchen verscheuert und im Musikraum rotten sich die engagierten Elternvertreter zusammen und intonieren mutig und leicht angeschiggert mit E-Bass und Kongas Weihnachtslieder, denen nach drei Minuten niemand mehr zuhört.
Beim rausgehen frage ich mich, warum der Geist der Weihnacht dieses Jahr irgendwie nicht so ganz zu mir kommen will. Liegt es an den sommerlichen Temperaturen? Vielleicht.
Immerhin schwebte eine kleine Elfe (oder war es ein Engel?) mit silbernen Flügeln um die Ecke zum Opel Astra ihres Vaters. Das lässt hoffen.
Ab heute Abend werd ich mal wieder ein paar Lichterketten zu den Fenstersternen hängen, wir sind erstmals mit paar Leuten auf dem Weihnachtsmarkt und punschen danach hier noch weiter, ich denke dann gehts.
Ich wünsch euch allen jedenfalls eine schöne Vorweihnachtszeit und viele schöne überflüssige Weihnachtsfeiern

Der Sandman