Hi,
hier wie besprochen der Reisebericht - taufrisch aus erster Hand

Noch einmal kurz zur Vorgeschichte: Mitte Jänner hat Gerd im Forum angefragt, wer mit ihm nach Litauen fliegen würde, um einen - laut Anzeige - top Audi 200 20V TQ probezufahren, zu beurteilen und ihn ggf. mit ihm gemeinsam nach Deutschland zurückzubringen. Naja, ich bin normalerweise immer für Abenteuer zu haben, insbesondere, wenn es sich um Geschichten rund um unsere Autos dreht, also hab' ich mich bereit erklärt, mitzumachen.
Nach langer Korrespondenz mit Aurimas, dem Verkäufer aus Litauen (der eigentlich von der Nordgrenze zu Lettland kommt und in Vilnius nur sein Lager hat), haben wir uns aufgrund der gefälligen Rückmeldungen seinerseits kurzerhand dazu entschlossen, einen Flug One-Way nach Vilnius zu buchen und das Abenteuer zu wagen. Kennzeichen besorgt Aurimas, so der Deal, und wir bezahlen Cash. Witziges Detail am Rande: Ein Bekannter des Verkäufers ist ein Freund von Florian hier im Forum, der diesen schon auf seiner Baltikumreise besucht hat. Dieser wiederum konnte uns ein paar Background-Infos zum Wagen geben, welche zuversichtlich stimmten.
Und just am 10.2.2011 sollte es soweit sein. Gerd flog von Nürnberg nach Wien, wo ich ihn am Flughafen traf, von wo es aus weiter über Riga nach Litauen gehen sollte. Standesgemäß für eine baltische Billigfluglinie durften wir die Flüge in Turbo-Prop-Maschinen zurücklegen. Die freundliche Bitte der Stewardess, uns doch nach vorne zu setzen, damit das Flugzeug besser ausbalanciert sei, versuchte ich weder als Vertrauenseinbuße in die Maschine noch als Anspielung auf meine Proportionen zu werten.
Der erste Eindruck von Lettland aus dem Flugzeug: Kalt, grau und finster.

Auch aus der Nähe kann das Land seine Planwirtschaftsvergangenheit nur schwer verheimlichen - dass es auch nicht mehr ganz weit nach Skandinavien ist, spiegelt die verschneite und klirrend kalte Winterlandschaft wider.

Obwohl es der Turm im Hintergrund suggerieren würde, befanden wir uns nicht im Landeanflug auf Paris - die berühmt-berüchtigte Ost-Architektur der letzten 50 Jahre, wie man sie im Vordergrund bewundern kann, zerstreute diese Bedenken auch umgehend.

Nach kurzem Zwischenstop ging's flott weiter nach Vilnius - bekannt für die älteste Universität des Nordostens und als Heimatstadt von Markus Ramius, für die Kenner unter uns

Wie wir zum Hotel kommen sollten, war bis zuletzt nicht ganz 100% klar; Aurimas empfahl uns, kein Taxi zu nehmen, da es unverschämt teuer sei (in der Tat: 25.- EU für 5 Minuten Fahrt...) und den Zug nicht zu nehmen, weil es am Bahnhof nicht sicher sei (das hingegen halte ich im Nachhinein für etwas übertrieben). Wir entschieden uns dennoch für das Taxi und wurden von einem äußerst rasant fahrenden, ziemlich kalt-stillen Litauer auch prompt zum Hotel gebracht. Nach ein paar Querelen mit der Buchung, die sich zum Glück in Wohlgefallen auflösten, konnten wir unsere ersten Schritt in der ehemaligen UDSSR tun - und wurden nicht enttäuscht.

Vilnius kann man sich am ehesten wie eine kleine Version Prags vorstellen, allerdings ohne viele Stadtmauern. Wenn man ein bisschen sucht, findet man auch Lokale mit sehr gemäßigten Preisen (wenn sich da auch sicher viel getan hat in den letzten Jahren). Auch für den deutschen Geschmack wäre etwas dabei gewesen - wir ließen uns aber auf die Küche Litauens ein und wurden nicht enttäuscht.

Einen ersten Vorgeschmack auf die Straßenverhältnisse, mit welchen wir am nächsten Morgen konfrontiert sein würden, bekamen wir noch am Vorabend. Salz? Pustekuchen - aber es lässt zumindest auf den Unterbodenzustand des 220V schließen (das war nämlich nur bedingt auszumachen).


Der nächste Morgen beginnt früh - 7:30h Tagwache. "Je schneller wir hier weg sind, desto besser", war der Gedanke - schließlich lagen noch 1200km Rückfahrt vor mir, und Gerd musste weitere 450km schultern. Ein erster Blick aus dem Fenster bestätigt Wetterbericht und Befürchtungen: Schneefall und starker Wind. Idealbedingungen für einen Autokauf.

Wir schleppen uns durch -6°C kalte Windböen Richtung Treffpunkt und erspähen auf der anderen Straßenseite einen Audi 200 20V TQ Avant. Da es dort von Typ 44 nur so wimmelt, auch als Taxis, keine ganz große Überraschung - aber doch ein Foto wert. Das entzückt den Besitzer des Fahrzeuges, der sich als unser Verkäufer entpuppt. Na das ist doch mal ein standesgemäßes Taxi


Mit Aurimas fahren wir zur Garage, seiner Lagerhalle, in welcher der Audi 200 20V steht und in welcher er auch seine ganzen Teile hortet. Mindestens 15 aufgeweidete Audi V8 und 200er warten auf ihr Autograb - und ihre Teile auf neue Besitzer. Wer also günstig Teile braucht - die Adresse dürfte gut sein.


Aber schließlich geht es uns ja um das begehrte Fahrzeug - eine Audi 220VTQ mit angeblichen 130tkm auf der Uhr, ohne Delle, ohne Kratzer, ein kleiner Rostfleck an bekannte Stelle und - vor allem - keinerlei technischen Mängeln in Cheyenne-Perleffekt. Na wenn das mal keine weite Reise wert ist. Und tatsächlich, man höre und staune - der Verkäufer aus dem hohen Norden hat nicht übertrieben. Was da auf uns wartete, war wohl der bestgepflegteste Audi 220VTQ, dem ich jemals begegnet bin. Ich möchte euch nicht mit Details langweilen, aber stellt euch einfach einen neuen Audi 200 vor, wie er vor 20 Jahren ausgesehen hat - dann wisst ihr, was ich meine.

Eine ausgiebige Probefahrt auf eisglatter Fahrbahn, ein ausführlicher Rundum-Check und der Deal ist perfekt - bis auf einen relativ rostigen Auspuff war einfach nichts zu beanstanden. So wurde auch nur kurz verhandelt und nebst kleinem Abschlag auch ein voller Tank ausverhandelt - es gehört ja doch zum guten Ton, dass man bei so weiter Anreise und dem doch recht stolzen Preis auch einen vollen Tank erwarten darf. Das war aber kein Problem. Nach Vereinbarung des Preises erzählte uns Aurimas, was er in letzter Sekunde noch alles neu gemacht hatte: Servopumpe, die ganze Bremse hinten, Stoßdämpfer hinten, Winterreifen - damit wir keinerlei Probleme bei der Rückfahrt hätten. Na ich war gespannt...
Eine kleine Sache war leider noch nicht geregelt - die Zulassung für die Nummerntafeln war abgelaufen. Aber Aurimas würde das regeln, hatte er versprochen. Ob wir mitkommen möchten zu Versicherung - gerne, warum nicht. Und so haben wir auch noch eine litauische Zulassungsstelle kennengelernt - und sie ist nicht anders als irgendein Amt bei uns. 30 Minuten später hielten wir eine gültige Zulassung in der Hand. Ob das auch den Behörden standhält - aber es wurde immer später... also Handschlag - Volltanken - Abfahrt!

Die ersten Kilometer in Vilnius gestalten sich schwierig: Das komplette Verkehrsnetz wird modernisiert, die 3 Jahre alten Karten im Navi sind hoffnungslos veraltet. Ich verlasse mich auf meinen Instinkt und fahre südwärts - und ja, nach geraumer Weile ist auch das Navi wieder mit der Route einverstanden. Gut so.
Weniger beruhigend ist das brummende Geräusch aus der Richtung der Vorderräder - das war eigentlich so nicht vereinbart... aber gut, solange die Radlager uns nach Hause bringen, sollen sie ihren Lärm ruhig machen.
Schön ist es ja nicht gerade im Winter, das muss man sagen - im Sommer wird es anders sein, aber so wirkt es, gerade für einen bergverwohnten Österreicher wie mich, doch verdammt flach, einsam, öde.

Bis zur Grenze läuft alles gut - und dann kommt's: Stichprobenkontrolle, die Grenzbeamten winken uns raus. Ich dachte, Litauen sei im Schengenraum? Wie auch immer, mit so einem Fahrzeug fällt man halt auf. Der Beamte kontrolliert alles ganz genau - und verabschiedet sich mit einem astreinen "Gute Fahrt!" von den deutschen Spinnern, die da ein Auto gekauft haben... ihr könnt euch sicher vorstellen, dass sich erst einmal Erleichterung breitmachte. Die Papiere sind also in Ordnung.

Weiter geht die Fahrt quer durch Polen Richtung Warschau. Schon kurze Zeit nach der Grenze durften wir drei polnische Spezialitäten kennenlernen - und ich spreche nicht von Mahlzeiten:
1) Völlig verrückte Autofahrer, die eigentlich reihenweise eingesperrt gehören würden. Und ich meine das wörtlich: 50er-Limit wegen Fußübergang auf einer vierspurigen Europastraße. Was mache ich? Bremsen. Was macht der gemeine Pole: Draufhalten und mit 140km/h durchpreschen. Was sind wir? Ein Verkehrshindernis und gemeingefährlich. Tja, so anders kann die Welt sein.
2) Völlig desolate Straßen. Wir werden später noch lernen, dass die EU-Förderungen durchaus für die Verbesserungen des Verkehrsnetzes herhalten dürfen - aber WIE die Leut' das dort angehen, such wohl seinesgleichen.
3) Völlig durchgedrehte LKW-Fahrer, die wohl nur überleben, weil der Gegenverkehr den Anstand besitzt, in die Eisen zu steigen.

Aber genug gemeckert. Die Delle, die uns beim einzigen Zwischenstopp auf einem McDonalds-Parkplatz in eine denkbar schlechte Stelle reingehauen wurde und damit die Nr. 1 auf der unbescholtenen Karosse (die nichtmal einen einzigen Steinschlag hatte - aber auch das hat das schöne Land für uns geregelt) darstellte, wurde immerhin durch ausgesprochene Freundlichkeit der Leute ausgeglichen. Da können die Litauer noch ein bisserl was lernen.
Eigen ist es schon, diese große Land im Osten - kalt, grau, und doch irgendwie wurlig. Überall hat man einen intensiven Geruch von Hausbrand in der Nase, der irgendwie an die Kindheit erinnert - Kohle ist dort offenbar noch sehr begehrt.

Wir folgen tapfer dem Navi, welches uns immer näher an Warschau heranbringt - hier und da lässt sich sogar der Himmel dazu überreden, ein bisschen Licht durchzulassen.

In Warschau angelangt, beherzige ich den Rat verschiedener Personen, Nachts nicht durch Polen zu fahren. Weniger wegen der eigenen Sicherheit als der des Fahrzeuges - denn Schlaglöcher sind allgegenwärtig und so eine Felge ist schnell mal demoliert. Und tatsächlich wurd es mit hereinbrechender Dunkelheit nahezu unmöglich, sicher voranzukommen. Also genug für diesen Tag.
Warschau erinnert mich an Bratislava - Villen aus der Gründerzeit schmiegen sich an riesige Betonklötze aus der Zeit des Kommunismus, um wiederum von einem romantischen, mittelalterlichen Stadtkern abgelöst zu werden. Dieser beherbergt in der einen und anderen Seitenstraße auch Lokale zu fairen Konditionen und wir schlagen wieder bei traditionellem Essen zu - gut ist es ja! Für's gleiche Geld wie in Vilnius werden wir ordentlich satt; so satt, dass wir das feudale Frühstück im Hotel samt überwachter Tiefgarage gar nicht richtig genießen können.
Auf dem Weg durch die nächtliche Hauptstadt Polen's begegnen wir auch der einen oder anderen Rarität aus einer anderen Zeit; viele Bauwerke und Denkmäler erinnern an längst vergangene Tage. Es beginnt zu regnen, dann zu schneien - es wird Zeit, dass wir ins Bett kommen.


Der nächste Morgen zeichnet ein völlig anderes Bild dieser Stadt - ein Blick aus dem Fenster lässt auf einen wunderschönen Tag und eine unbeschwerte Fahrt hoffen.

Die ersten Kilometer halten die Versprechen, die uns der Morgen gegeben hat - nun ja, teilweise zumindest. Wir lernen gleich wieder, dass Vorsicht auch tagsüber angebracht ist. Wann machen die endlich ihre Straßen?


Ich hätte mich nicht fragen sollen. Knapp nach Warschau Richtung Süden zeigen uns die Polen, dass sie nicht nur bei Geschwindigkeitsübertretungen nicht kleckern, sondern klotzen. Eine Baustelle gesellt sich zur nächsten, zwei Spuren gehen alle paar Kilometer auf eine zusammen und dazwischen sorgen Fernstraßenampelregelungen für einen Stau nach dem nächsten. Nach drei Stunden und weniger als hundert geschafften Kilometern verfluche ich den Tag - und mit ihnen diese ganzen Selbstmörder im Mit- und Gegenverkehr und die Straßenbauaufsicht. Aber wir sind hier Gast, also verhalten wir uns auch so - bösartige Gesten überlassen wir dem Gastgeber.



Natürlich darf im östlichen Straßenbild auch der eine oder andere Leukoplastbomber nicht fehlen. Wie der die Straßenverhältnisse unbeschadet übersteht, bleibt ein ungelöstes Rätsel.

Es geht weiter südwärts, nach der Zusammenführung zweier Europastraßen geht es wieder zügig voran. Noch 600km - die sollten zu schaffen sein.

Auf der Heimreise werden uns noch die einen oder anderen Skurilitäten begegnen, wie zum Beispiel die Hinweisschilder, dass Pferde-Fuhrwerke nicht auf die Schnellstraße einfahren dürfen (sie wohl aber hier und da queren - wir erinnern uns an die 140 Sachen...) und Radfahrer nicht auf die Autobahn dürfen (leider gelangen mir da keine brauchbaren Fotos). Und wenn schon Geschwindigkeitsbegrenzungen nicht groß geschrieben werden, wieso dann Ladesicherung?

Und wirklich: Am späten Nachmittag erreichen wir die tschechische Grenze. Ich muss ehrlich sagen, irgendwie war ich erleichtert. So richtig Lust hatte ich nicht, mitten in Polen mit einer kaputten Spritpumpe oder dergleichen liegenzubleiben - und die ist, aber das wussten wir vorher schon, wirklich bedenklich laut. Wenn dann im Stau punktgenau bei 90°C der E-Lüfter die LiMa mit 10 Ampere oder etwas in der Größenordnung beaufschlagt und sich daraufhin die Spritpumpe akustisch verschluckt, verhält sich die Pulszahl umgekehrt proportional zur Bordspannung. Aber, Klopf auf Holz, sie hat munter durchgehalten (und wird vermutlich noch weitere 100tkm vor sich hinjaulen, wie alle diese Pumpen...).

Gleich nach der Grenze meldete sich das Navi wieder einmal zu Wort und erzählte uns, dass es die Autobahn, auf der wir seien, noch gar nicht gäbe. Also höchste Zeit, ein bisschen Landluft zu schnuppern. Wer weiß, am Ende kostet die Autobahn noch Geld...

Nach einigen Kilometern Auf und Ab durchs Böhmerland ging's wieder auf die Autobahn, welche uns - an immer bekannteren Marken vorbei - immer näher an mein Heimatland heranbrachte.

Und so durften wir gegen Abend auch noch einen durchgehend schönen Sonnenuntergang genießen und uns langsam aber sicher entspannen.




Gegen 18h (unserer Zeit - Litauen und damit das Kombiinstrument sind uns ja eine Stunde voraus...) war's dann geschafft - Österreich war erreicht. An der Grenze, beim vorbildlichen Kauf der österreichischen 10-Tages-Vignette, wurden wir dann auch noch von einer entsetzten tschechischen Verkäuferin darüber aufgeklärt, dass die letzten 300km Vignetten-pflichtig gewesen wären und wir uns dafür bekreuzigen dürfen, keine 600.- EU Bußgeld bezahlt haben zu müssen. Okay, man lernt nicht aus


Zu Hause wird noch einmal vollgetankt (für die Ungläubigen unter euch, wenn ich wieder mal erzähle, wie sparsam man ein Auto fahren kann: 8,5l/100km im Schnitt) und Futter gefasst.

Am nächsten Tag sichten wir noch einmal den Wagen - und dann wird so einiges klar. Spike-Reifen! Ja, richtig gelesen. Aurimas aus Vilnius hat es so gut mit uns gemeint und war offenbar so verunsichert ob unserer Glatteis-Erfahrungen, dass er uns Spike-Reifen vorne und hinten montiert hat. Von wegen Radlagerschaden. Gut, dass man damit nur 80km/h fahren sollte...

Und nun sollt ihr zum Abschluss noch sehen, was Gerd sich da angeschleppt hat... schöne Fotos gibt's dann hoffentlich, wenn der Karren wieder von der ganzen Salzpaste befreit ist, die wir uns eingefahren haben.

Der Wagen hielt, was der Verkäufer versprach. Keinerlei Flüssigkeitsverlust, keinerlei Auffälligkeiten, keinerlei Ruckeln, zuckeln, poltern - ja nix einfach, was man beanstanden könnte. So soll es sein! Fast unfassbar für einen 220VTQ.

Weil Gerd auf eine Klimaanlage bestand hat, gab Aurimas sie uns kurzerhand einfach mit - in Teilen. Die werden aber eher im Teilemarkt als in diesem Fahrzeug landen - es wäre eine Schande, so wunderbar wie alles funktioniert.

Zu guter Letzt haben wir noch festgestellt, dass auch der Wasserkühler schon neu kam - ein Nachbau aus Dänemark. Vielleicht gibt's die Kühler ja noch günstig - die originalen sind ja nicht mehr zu bekommen.

Abschließend wünsche ich Gerd noch viel Freude mit dem Wagen, appelliere an ihn, die Idee mit dem Chiptuning ganz schnell wieder zu verwerfen und bedanke mich für die tolle Reise! Immer wieder gerne

lG und viel Spaß beim Lesen
Bastian