Liebe Gemeinde.
Ich bin ein bisschen am Grübeln.
Viele Gedanken prasseln auf mich ein, teils aus meinem eigenen Kopf, teils von meinen Freunden.
Ich möchte hier gar nichts klarstellen oder gar jemanden zu irgendwas bringen (um Gottes Willen!), aber ich bin bei einem Thema sehr nachdenklich in letzter Zeit.
Vielleicht erkennt sich ja der eine oder andere von euch wieder…
Also... ich kotz mich mal kurz aus...
Ich hole weit aus.
Wie war das denn damals so mit dem Verlieben?
Als Teenager?
Da steht sie auf dem Schulhof, sieht einfach nur umwerfend gut aus und alle ihre Bewegungen sind anmutig und grazil. Man ist verzweifelt dabei, irgendwelche Fotos zu bekommen, von Klassenfahrten oder von Schulfesten.
Nachts liegt man wach, meiner einer saß dann mit einem Glas Rotwein oder auch mit zweien oder gar dreien und der Gitarre auf dem Teppich rum und war am Balladen basteln, oft bis die Sonne aufging oder meine Mutter gegen 3.00 Uhr morgens mit Rändern unter den Augen hoch kam und mich bat, doch BITTE endlich mal das Singen zu lassen.
Nee war das schön und furchtbar.
Und irgendwie wurden die Pickel weniger…
Plötzlich ist man dann mit diesem Mädchen zusammen, hat eine echt gute Zeit, kann gar nicht fassen dass das so ist...
und ehe man sich umsieht hüpft ihr Herz in eine andere Richtung und das wars dann wieder. Schluss gemacht per Brief.
Man stirbt 1000 Tode aber irgendwie hat mans ja doch überlebt, und weiter gehts.
Als junger Erwachsener?
Hörner abstoßen. Irgendwie alles nicht mehr so einfach, die Frauen sprechen von Kindern, man ist im Berufsleben oder in der Uni eingebunden, Freizeit wird knapper und die Hobbies gehen flöten denn man will ja die freie Zeit mit der Liebsten verbringen.
Die Parties werden öffentlicher, die Liebe auch, so was wie Eifersucht macht sich breit und der erste Stress wegen anderer Männer oder Frauen gräbt sich tief ins Herz und ins Selbstbewusstsein. Kennt man sich zu gut? Ist man langweilig geworden, weil es nur noch wenig Neues zu entdecken gibt und jedes Muttermal bekannt ist?
Und ehe man sich umsieht hüpft ihr Herz in eine andere Richtung und das wars dann wieder…
... jaaaa neeee nicht ganz so einfach, das tut nun doch schon mehr weh als seinerzeit, Wein und Gitarre helfen auch diesmal übers Gröbste hinweg und die Mama mit den Augenrändern ist einem übernächtigten WG-Mitbewohner gewichen.
Und dann?
Auf einmal ist ein Kindchen da, eine süße kleine Maus und alles ist anders. Liebe wird neu definiert und heißt jetzt Geborgenheit, Spontanität weicht der Suche nach einer ruhigen Stunde und man merkt plötzlich, dass man sich nicht mehr einfach so verlassen kann. So wie früher, womöglich mit Brief…
Irgendwie verbindet einen plötzlich sehr viel miteinander, gar so was wie eine gemeinsame Vergangenheit und Orte, die man nur mit sich selbst geteilt hat. Lieder, die eine klare Bedeutung haben. Gerüche, die in ihrer Eindeutigkeit immer mit ganz bestimmten Situationen oder Gesichtern belegt sind.
Also was macht man? Man hat sich so RICHTIG lieb und macht nach einigen Ausbrüchen, die nichts wurden noch ein zweites Kind und tütet die folgenden 20 Jahre planmäßig ein.
Wer schmunzelt? Hat da nicht jemand still genickt???
Und ab hier geht dann das Leben seltsame Wege. Und es geht auf jeden fall weiter. Und das ist auch gut so.
Familie, umziehen, ganz neuer Stress, jetzt pöbeln Nachbarn nicht mehr rum weil man zu laut Gitarre spielt sondern weil das BobbyCar auf dem Dielenboden nervt.
Richtig mutige heiraten sich und kaufen oder bauen ein Haus.
Jetzt geht’s los. Durchstarten! Haus besitzen.
Ich kenne nicht viele Ehen, die das überlebt haben.
Warum auch immer.
Vielleicht wird einem plötzlich bewusst, dass man hier jetzt festhängt. Jetzt kann man sich nicht nur nicht mehr einfach so mit Brief trennen, nein, jetzt kann man noch nicht mal mehr WEG HIER. Und wenn doch, dann nur mit erheblichen finanziellen Hürden. Außerdem... Da gibt es jetzt einen Platz, den die Kinder „Zu Hause“ nennen, und das ist ein wertvolles Gut.
Wir befinden uns altersmäßig im Ödland der Dreißiger.
Es ist die Zeit des mangelnden Individualismus.
Bestimmte Charaktere sprechen nicht mehr von ICH, sondern nur noch von WIR.
WIR kommen heute Abend zu euch, passt das?
Ja das ist ja süß dass du anrufst, WIR haben schon drauf gewartet, wart mal ich mach mal auf mithören.
Schatz was machen WIR denn heute Abend?
Sollen WIR uns diesen Film ansehen?
Was essen WIR denn heute Abend?
Katastrophe!!!
Das Haus steht, die beiden Autos draußen auch, einer ist sogar ein Audi V8. Gewagt. Unvernünftig.
Die Gitarre lehnt an der Wand, gleich unter dem Fernseher und frisst Staub.
Die Kinder sind aus dem Gröbsten raus, beide in der Schule, sie passen sogar mal auf sich selbst auf und es kommen komische Erkenntnisse:
Was machen WIR eigentlich noch hier?
Wann haben WIR uns das letzte mal WIRKLICH verliebt angesehen?
Wie sieht unser Alltag aus, wenn wir mal fernsehen weglassen?
Was machen unsere Hobbies eigentlich?
Machen WIR eigentlich ALLES zusammen?
Haben WIR uns noch was zu sagen?
WOLLEN wir uns denn noch was sagen?
Und wer ist dieser Mann da? Ist der wirklich so spannend und so anders als ich und findest du bei ihm alles was du an mir vermisst oder willst du was festgefahrenes aus dem Schlamm ziehen?
Es erscheint: Die Retrophase.
Hab ich schon mal drüber referiert.
Man holt alte Fotos raus und guckt sich alte Filme an.
Man überbrückt die Zeit, in der die Frau ihrer verlorenen Selbständigkeit nachjagt, mit der Suche nach dem eigenen Ich.
Man ruft längst verschollene Exfreundinnen wieder an. Na? Wie geht’s dir? Was machst du so? Ach… Kinder und Haus und langweiliger Mann… aha… Ja nee klar ich ruf nicht mehr an wenn der SO eifersüchtig ist, kein Problem. Schönes Leben…
Nächste Exfreundin... Ja neee die hat hier mal gewohnt aber nun nicht mehr die ist getrennt und nach Bayern oder so gezogen. Argh.
Man kauft die Autos, die man als junger Erwachsener besessen hat. Wenn man so cool ist wie ich hat man sogar noch DAS eigene Auto dieser Zeit über die Jahre gerettet. Und man setzt sich rein und schaltet für einige Minuten ab.
Plötzlich sind Familientreffen nicht mehr so schlimm wie früher, aber es gehen einem die Ausreden aus, wo denn die Frau heute ist. Und man ist auch irgendwie nicht mehr der Jüngste in der Runde, von unten rücken sie nach, oben sterben sie weg, die Einschläge kommen näher. Immerhin ist auf allen Fotos über die Jahre zu bewundern, dass alle immer älter werden aber ich immer das gleiche Auto fahre. *seufz*
Und ehe man sich umsieht hüpft ihr Herz in eine andere Richtung und das wars dann wieder. Schon wieder. Und nun hat man keine Lust mehr.
Die magische Grenze ab Mitte dreißig. Neuanfang. Neuorientierung. Selbstverwirklichung, spät aber energisch. Ich bin nicht mehr jung, aber noch lange nicht zu alt. Wozu eigentlich?
Die eine Hälfte meiner Freunde trennt sich gerade oder hat sich schon getrennt. Nach 7 Jahren oder so zieht man weiter wie ein Schwarm Heuschrecken und grast die nächste Beziehung ab, für die Kinder wird fleißig Unterhalt gezahlt und die Schlammschlachten mit der ehemaligen Ehefrau beschränken sich auf das Thema DU oder ICH die Kinder am Wochenende?
Das Entsetzen in der Stimme der Menschen auf dem Anrufbeantworter. WAS denn das kann ich nicht glauben IHR habt euch getrennt? NEIN. WIR (*würg*) dachten immer dass IHR anders seid und blabla.
Getrennt.
Nach so langer Zeit.
Die Welle der Erkenntnis überrollt einen mit lähmenden Magenschmerzen, und wie schon damals als Teenager stellt man erstaunlicherweise nach einiger Zeit – zugegeben ein wenig länger als damals – fest, dass man auch DAS überlebt. Man gewöhnt sich an die Abwesenheit des Menschen, den man mal so sehr geliebt hat und es zerreißt einen jeden Tag ein bisschen weniger, wenn man darüber nachdenkt, was sie wohl jetzt gerade miteinander tun.
Der Mensch ist schon komisch, er verdrängt alle schlimmen Sachen so erfolgreich, dass einem manchmal Angst werden kann. Aber na gut, vielleicht war deshalb ja früher alles besser, jeden Sommer schien nur die Sonne und jeden Winter lag ganz viel Schnee. Und dass es wieder Brauner Bär zu kaufen gibt lässt hoffen.
Was macht die andere, nicht getrennte Hälfte der Freunde?
Entweder sucht sie immer noch nach dem oder der Richtigen, oder man hat sie / ihn gerade gefunden und spricht von HOCHZEIT! Um mich rum wird nicht nur getrennt, sondern auch wieder geheiratet! Mein V8 soll in diesem Jahr zwei mal mit Sträußen geschmückt werden. Und alle lachen und nennen mich einen Schelm wenn ich sage, dass ich in der Kirche die Hand heben werde, wenn der Pastor fragt, ob jemand was einzuwenden hat. Die werden sich wundern...
Es ist so viel los dass mir der Kopf platzt.
Der Alltag ist voller Fragen, und ich sitze hier nun, schmunzel in mich rein und entwickel Ansichten, die für viele meiner Freunde nicht nachvollziehbar sind.
Wenn man nicht mehr jeden Abend zusammen vor der Glotze hängt hat man auf einmal wieder Zeit, seinen HOBBIES nachzugehen. Die Zeit wurde einem vorher auch gegeben, man hat sie sich aber nicht genommen.
Plötzlich finde ich mich mit dem Ölfilterschlüssel in der Hand unter meinem Auto wieder, und Abends grätsche ich mit noch nicht ganz sauberen Fingern in die Gitarre und schreibe Lieder über Liebe und Kummer. Klasse. Trennen tut gut.
Trennungskinder können klasse drauf sein und richtig gute Noten in der Schule haben, wenn sie das Gefühl der Grundsicherheit spüren. Die Zeit, die man mit ihnen verbringt, lebt man wesentlich intensiver, hat Zeit und ist aufmerksam. Das bekommt man mehrfach zurück. Trennen ist gut.
Man sitzt abends auf dem Bett und stellt fest, dass man noch den ganzen Abend für sich hat, wenn die Kinder ab 20.00 Uhr schlafen. Trennen ist gut.
Die Exfreundinnen melden sich auf einmal von alleine und fragen, wann mal wieder ein Wein klar gemacht wird. Jetzt, wo man wieder am Markt ist. In jedem blöden Chat dieser Welt bekommt man schon nach 30 Minuten private Handynummern, nur weil man über 30 und getrennt ist und Gitarre spielt. Macht mir das Angst? Ein bisschen. Aber trennen ist gut...
Okay, die Zielgruppe verlagert sich, daran muss gearbeitet werden. Neben jedem verwunderten Blick, wenn die (Ex-)Frau wieder einmal verheult von ihrem neuen Freund kommt und ihr Herz ausschüttet wie schwierig das alles ist scheint ein getrennter EDV Dozent charmant auf Frauen über 30 zu wirken. Angenehm, denn all diese Menschen tragen ihre Geschichte mit sich rum.
Bin ich glücklich?
JAAAA.
Ein entspanntes Leben mit Kindern, Haus, Hund und V8 und jeder Menge freien Abenden UND einer süßen Herzärztin im Sauerland, die mir manchmal sagt, wie lieb sie mich hat ist toll. Das alles ist in dieser Form nichts für die nächsten 7 Jahre, aber wenn ich mir angucke, wie viele Leute noch zusammen kleben und ein furchtbares, von Arbeit und Fernsehen geprägtes langweiliges Leben führen und immer träger und immer fetter werden... dann muss ich vor dem Schritt, den meine Frau getan hat, meinen Hut ziehen. Ich bin wieder der, der ich immer sein wollte.
Äh... worauf wollte ich hinaus?
Ach ja.
Dass ich mir all diese Gedanken gemacht habe und DANN sehe, wie Menschen sich in festgefahrenen Beziehungen quälen oder gar sich noch das Ja-Wort geben. Vielleicht gibt es so was wie eine Liebe, die länger als 7 Jahre dauert. Ich glaub da nicht mehr dran und fahr da gut mit. Warum nicht alle 7 Jahre was neues probieren? Es gibt doch so viele Formen des Zusammenseins, muss es denn immer ein gemeinsames Haus und ein Ehering und ein Doppelbett sein? Nö.
Also: Seid IHR glücklich?
Wenn ja, dann ists toll, dann weiter so. Ja nee ganz ehrlich, ich will hier ja niemandem einreden dass er oder si was falsch macht. Nein.
Und wenn nein, wagt einen Schritt, das zu ändern. Ich bin nahezu sprachlos, wie schön das Leben eines 35-jährigen Teenagers sein kann! Wie man aufblüht, wie man wieder albern sein kann und wie gut man schläft! Das LOHNT sich!!!
In diesem Sinne freue ich mich auf den Vatertag bei Thomas, da können wir uns mal wieder alle gehen lassen... Ich hab auch diesmal KEINE Frau oder Freundin dabei, also wer will bei mir im Zelt schlafen?
Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die lokalen Todesanzeigen und fragen Sie Ihren Sandman. Ich bin da. Bringt ne Flasche Wein mit und wir setzen uns auf die Wiese, machen ein Lagerfeuer und genießen das Leben. Mit oder ohne Frau. Das geht.
Im moment besser ohne. Herrlich ist das.
Ein schönes Wochenende!!!
Und ein sonniges Leben!
Der Sandman